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Aischylos
DIE PERSER


Premiere: 10. Mai 2008, Theater Am Schwanhof

Fotos link

Besetzung:
Inszenierung -
Ausstattung -
Dramaturgie -

Inspizienz -
Regieassistenz -
Soufflage -
Manfred Gorr a.G.
Harry Behlau a.G.
Jürgen Sachs

Ito Grabosch
Juliane Nowak
Kerstin Reinsberg
DIE PERSER

Darsteller: Chor - Christine Reinhardt | Atossa - Regina Leitner | Bote - Stefan Piskorz | Dareios - Stefan Gille | Xerxes - Sascha O. Bauer


Stück:

„Denn wenn die Götter listigen Trug ersinnen, welcher sterbliche Mann wird dann entkommen?"

Der Perserkönig Xerxes ist schon vor langer Zeit zur Eroberung Griechenlands aufgebrochen. Die Königinmutter Atossa und der Rat der Ältesten warten ängstlich auf eine Nachricht. Da kommt ein Bote und meldet die Niederlage der Perser bei Salamis. Atossa bringt den Göttern und den Toten Opfer dar, die Greise dagegen klagen dem fremden Gott Zeus ihr Leid und verurteilen den leichtsinnigen Feldzug des jungen Herrschers. Sie beschwören den Geist des alten Königs Dareios, der aus dem Totenreich erscheint und die Niederlage als Strafe für die Vermessenheit seines Sohnes deutet, die Griechen herausgefordert zu haben. Als Xerxes sich schließlich, verwundet und in Fetzen gekleidet, in seinen Palast schleppt, gibt er die Schuld an seiner Niederlage dem Schicksal...


Pressestimmen:

Gießener Anzeiger

„Die Perser“ des Aischylos in Marburg als Kritik am „Übermut der Hochrüstung“

Ganz locker und spielerisch beginnen die 80 Minuten im Marburger Theater am Schwanhof (TASCH). Zwei junge Männer im sommerlich-leichtem Anzug und schwarzen T-Shirt schütteln sich vor Lachen, schlagen sich übermütig auf die Schulter.

Ihre erhöhte Spielfläche ist mit Perserteppichen belegt, in der Mitte eine quadratische Fläche ausgespart: Sie ändert Farbe und Struktur (Video: Daniel Freitag). Für die beiden aufgeräumten Männer wird sie zur Wasserfläche, sie schöpfen daraus und machen sich nass oder schippeln imaginäre Steine über die Oberfläche, die sich entsprechend verändert. Plötzlich richten beide Pistolen aufeinander. Die Tragödie „Die Perser“ von Aischylos nimmt ihren Lauf. Beide stehen sich später als Geist des Dareios (Stefan Gille) und Xerxes (Sascha Oliver Bauer) wortmächtig gegenüber. Die von Durs Grünbein übersetzte Tragödie (im lesenswerten Programmheft steht „wiedergegeben von“) erzählt in strenger Choreographie (Inszenierung: Manfred Gorr) von den fatalen Auswirkungen der Schlacht zwischen Griechen und Persern bei Salamis. Für Grünbein ist es kein Antikriegsstück, eher diskutiere die Tragödie den „Übermut der Hochrüstung und die Blindheit der Kriegstreiberei“. Die schwarz ausgehangene Bühne korrespondiert auch mit den stilisierten Kostümen (Ausstattung: Harry Behlau), helle Mäntel mit Leder besetzt. Einzig Königsmutter Atossa (Regina Leitner) trägt an Fingern, Handgelenken bis zum Oberarm glitzernden, klirrenden Schmuck, auch die Körpertätowierung wirkt auffällig. Atossa, ganz große Tragödin, schreitet mit erhobenen Armen über die Bühne, Ikone der Macht und Überheblichkeit. Noch stärkere Theatralik besitzt der Auftritt von Dareios Geist. Eine Bühnenwand knallt erschreckend nach unten, Dareios erscheint leibhaftig, sein Antlitz auf der Wasseroberfläche. Gebremste Dynamik im Auftritt des Boten (Stefan Piskorz), der die Schreckensnachricht intensiv-trocken abliefert. Christine Reinhardt kommentiert als Chor die Szene, ist Moderatorin für das in Bann geschlagene Publikum, kann die Statik der Inszenierung etwas auflockern. Flüstern, Schreie, zögerliches Sprechen modellieren den gut verständlichen Text. Kurz und dicht sind diese „Perser“, auch nach über 2000 Jahren noch aktuell.



Marburger Neue Zeitung

Arroganz führt zum Fall
Marburger Theater zeigt „Die Perser“ von Aischylos

Mit der griechischen Tragödie „Die Perser“ von Aischylos hat das Hessische Landestheater Marburg wieder ein klassisches Stück neu ins Programm genommen. 200 Zuschauer erlebten die gelungene Premiere.

Gast-Regisseur Manfred Gorr aus Rostock hat neue Ideen in den klassischen Spielstoff eingebracht. Das merken die Zuschauer schon beim Einlass. Anstatt in den Zuschauerraum werden sie durch einge Gänge und über Treppen auf die Bühne geführt. Sie sitzen schließlich dort, wo sonst die Schauspieler agieren und schauen in den Zuschauerraum. Die Bestuhlung ist abgedeckt, darüber befindet sich eine quadratische Spielfläche mit laufstegartigen Zugängen. In der Mitte ist eine Projektionsfläche für die Video-Installation. Der Anfang des Stücks ist verwirrend. Zwei gleich gekleidete Männer lachen unentwegt. Sie knien an einem Wasserbecken oder einem See oder was immer die von dem Beamer erzeugten Wellen darstellen sollen. Einige Minuten lang spritzen sie sich mit dem virtuellen Wasser nass, schmeißen Steine und bedrohen sich dann gegenseitig mit einer Faustfeuerwaffe. Was Gorr sich dabei gedacht hat, bleibt dem Publikum verborgen. Dass der eine der Perser-König Xerxes und der andere der Geist von König Dareios (Stefan Gille), dem Schöpfer des persischen Weltreiches ist, erfährt man nicht. In einem längeren Monolog erklärt Christine Reinhardt als Chor des Ältestenrates, die historischen Hintergründe der Handlung. Die Perser als reiche und starke Macht sind nach zahlreichen erfolgreichen Eroberungsfeldzügen nach Westen gezogen, um die Griechen zu unterwerfen und Athen einzunehmen. Man erfährt auch, dass sie dabei nicht zimperlich waren und sich den Ruf von Barbaren eingehandelt haben. Lange hat man von dem ausgezogenen Heer und der Flotte nichts gehört. Königsmutter Atossa (Regina Leitner) macht sich Sorgen. Da erscheint ein Bote in zerfetzter Kleidung (Stefan Piskorz) und erzählt vom verlustreichen Untergang der Perser in der Schlacht bei Salamis. Mit einer List ist es den zahlenmäßig weit unterlegenen Griechen gelungen, das unbesiegbar scheinende Heer der Perser zu überwinden. Die einstmals kampfkräftige Armee ist vernichtend geschlagen und das ganze Königreich steht vor dem Abgrund. König Xerxes (Sascha Oliver Bauer) überlebt die Schlacht und kehrt an seinen Hof zurück. Im Kern handelt „Die Perser“ von der Arroganz und Überheblichkeit von Xerxes aus griechischer Sicht. Anders als bei Tragödien, bei denen die Götter die Geschicke der Menschen lenken, erzählt Aischylos, der selbst bei Salamis gekämpft hat, einfühlsam, was die Perser nach der Niederlage erwartet, die tatsächlich als reiche Kultur-Macht untergingen. „Die Perser“ ist ein Lehrstück aus dem Geschichtsbuch, es handelt vom Aufstieg der attischen Demokratie und vom Untergang der persischen Despotie. Das Stück ist sehenswert inszeniert, hat eine Spielzeit von 75 Minuten und ist für alle Altersgruppen geeignet. Nicht zuletzt wegen der Übersetzung ins Deutsche durch den Dramatiker Durs Grünbein ist es in einer verständlichen Sprache gespiel



Gießener Allgemeine Zeitung

»Wo um Himmels Willen liegt dieses Athen?«
Hessisches Landestheater Marburg zeigt Aischylos’ »Die Perser« – Antiker Stoff mit mächtigem Vers-Text

Die Bühne ist karg. Lediglich eine viereckige Projektionsfläche auf dem Boden, die mal Wasser, mal trockenen Boden darstellt, und ein paar Perserteppiche, die rundherum liegen, deuten den Spielort des Geschehens an. Was erst erschreckend spartanisch anmutet, zeigt sich im Laufe der Premiere von »Die Perser« als geschickter Kunstgriff. Besonders die Projektionsfläche weiß Regisseur Manfred Gorr auf der Bühne des Hessischen Landestheaters Marburg geschickt in Szene zu setzen. Trotzdem gerät der antike Stoff in der von Durs Grünbein bearbeiteten Übersetzung an manchen Stellen ins Stocken. Nahezu aktionslos präsentieren sich die fünf Schauspieler auf der Bühne, lediglich auf Gestik und Mimik zurückgreifend – und natürlich auf die mächtigen Verse. So muss der Zuschauer viel Vorstellungsvermögen mitbringen, um die Geschichtsträchtigkeit des Stückes in seiner ganzen Bandbreite erleben zu können. Und die hat der antike Stoff: »Die Perser« von Aischylos gilt als die erste vollständig überlieferte Tragödie der Weltliteratur und ist zudem das einzige antike Drama mit historischem Hintergrund. Denn anders als seine Vorgänger behandelte der griechische Dichter nicht den üblichen Mythenstoff, sondern setzte sich mit dem aktuellem Zeitgeschehen auseinander: Der Schlacht von Salamis, die das persische Volk 480 v. Chr. unter Führung des Königs Xerxes gegen die Griechen verlor. Aischylos hatte den Sieg seiner Mannen gegen die persische Supermacht als Soldat selbst miterlebt – und das Geschehen dennoch aus der Perspektive der Verlierer geschildert. Und so erzählt er von den Ausmaßen des Krieges und vor allem von Größenwahn und Verblendung. An den Anfang des Geschehens setzt Gorr einen wortlosen Prolog. Sascha Oliver Bauer (Xerxes) und Stefan Gille (Dareios’ Geist) scheinen hier den Wahn des Krieges zu kommentieren. Aus einer harmlosen Neckerei, einem Jungenstreich wird bitterer Ernst, spielerischem Gelächter folgt das symbolische Abstecken einer Grenze. Erst danach beginnt das eigentliche Leiden: Christine Reinhardt als einzelne Vertreterin des antiken Chors und Regina Leitner als stolze Königsmutter Atossa warten auf eine Nachricht von Xerxes, der schon vor langer Zeit zur Eroberung Griechenlands aufgebrochen ist. Befürchtungen und Klagelieder wechseln sich ab und die furchtbare Realität enthüllt sich dann Stück für Stück in 75 Minuten Sprechtheater, bis der angeschlagene Xerxes am Ende selbst auf der Bühne erscheint – und gar nicht so zerfetzt aussieht, wie man meinen sollte. Seine Schuld am Scheitern weist der König weit von sich: Göttliche Ungunst und Dämonen haben seiner Ansicht nach die Katastrophe herbeigeführt. Immer wieder werden in dem Stück die unzähligen Opfer des Krieges, Kurzsichtigkeit und Übermut beklagt. Der Höhepunkt der Inszenierung ist aber das Erscheinen des Geistes von Dareios. Chor und Königsmutter lassen den erfolgreichen Königsvater noch einmal aus seinem Grab hinauffahren und die Erscheinung blendet anfangs nicht nur die ehrfürchtig auf dem Boden liegenden Beschwörer, sondern auch das Publikum. Von oben herab mahnt der Geist und spiegelt sich dank Videotechnik auch in der Projektionsfläche wieder, bevor er wieder in den Windungen des Theaters verschwindet und die Tür wie von Geisterhand zufällt. Angenehm ist, dass Gorr die Modernität des antiken Stoffes nicht durch aktuelle Bezüge strapaziert. So bleibt es jedem Zuschauer selbst überlassen, Parallelen zu ziehen. »Wo, um Himmels willen, liegt dieses Athen?« fragt sich Atossa verzweifelt. Zur Erklärung deutet der Chor in die Ferne. Übermut und Verblendung – das gab es nicht nur zu Zeiten des Xerxes in Persien.



Oberhessische Presse

Viel Text, wenig Handlung, hoher Nachdenkfaktor:
So lässt sich Manfred Gorrs gelungene Inszenierung der „Perser“ beim Hessischen Landestheater Marburg in kurzen Worten beschreiben.
von Christine Krauskopf

Von seichter Unterhaltung kann bei den „Persern“ keine Rede sein. Das überaus bemerkenswerte Stück fordert die Zuschauer - ihren Intellekt ebenso wie ihre Bereitschaft, sich in die Figuren hineinzufühlen. Aufgeschlossenheit während der Premiere am Samstag wurde mit neuen Sichtweisen reich belohnt. „Die Perser“ gilt als das älteste europäische Drama. Aischylos schrieb es 472 vor Christus nach historisch verbürgten Ereignissen. Es schildert die Heimkehr des Perserkönigs Xerxes zu seiner Mutter und dem Ältestenrat nach der verheerenden Niederlage seines Heeres gegen die Griechen. Vorgaben für die Regie gibt Durs Grünbeins moderne Bearbeitung nicht. Umso mehr darf der Zuschauer über das ideenreiche Bühnenbild (verantwortlich: Harry Behlau als Gast) staunen: Im Zentrum steht ein großes, mit virtuellem Wasser gefülltes Becken. Ein Beamer projiziert die Flüssigkeit waagerecht von der Decke herab. Ein breiter Gang, über und über mit Teppichen im Persermuster (witzige Idee!) bedeckt, umrahmt das Becken. Dort treffen sich zu Beginn Xerxes (Sascha Oliver Bauer) und sein Vater Dareios (Stefan Gille). Sie tragen keine Schuhe, sind in helle Anzüge gekleidet. Die beiden lachen lauthals und unbekümmert, raufen und knuffen sich liebevoll, lassen Steine übers Wasser springen und Brocken hineinfallen (fantastische Effekte auf der „Wasseroberfläche“!). Es wird dunkel und wieder hell, die beiden Männer sind verschwunden. Christine Reinhardt berichtet als Ältestenrat wie eine Tagesschausprecherin über die aktuelle Situation: Man wartet auf Nachricht von Perserkönig Xerxes, der vor langer Zeit mit seinem Heer in die Schlacht zog, um die Griechen zu besiegen. Kaum merklich wird ihre Sprache schneller, die scheinbar Unbeteiligte lässt Emotionen tröpfeln. Christine Rheinhardt verändert ihre Stimme nur um Nuancen, und hält die Aufmerksamkeit des Publikums auf hohem Level. Eine brillante schauspielerische Leistung! Als Ältestenrat torpediert sie die Zuschauer geradezu mit Details über die Schlachten im fernen Griechenland. Fügt lange Listen mit Namen persischer Offiziere und Soldaten - zum Teil mit Verwandtschaftsverhältnissen - hinzu. Die Namen kann sich natürlich niemand merken, sie spielen auch keine Rolle, sondern stehen für ein raffiniertes Stilmittel des Autors, das Gorr in bemerkenswerter Weise aufgreift: Durch das Aufzählen der vielen Namen verwandeln sich die abstrakten Begriffe „Soldaten“ und „Krieg“ in die konkreten Schicksale von Pharandaces und Susiscanes, Ariomardus und Arcteus, Metrogathes und all den anderen. Söhne, Väter und Brüder bleiben geschlachtet und zerhackt und mit fehlenden Armen und Beinen auf dem Feld zurück, sterben unter unvorstellbaren Schmerzen. Das Bild des Krieges wird plastisch und grausam. Aischylos war Grieche, beschreibt den Krieg jedoch aus der Sicht der geschlagenen Perser, und das ohne Überheblichkeit. Er berichtet verständnisvoll, warum König Xerxes seiner Ansicht nach in den Krieg zog und wie er sich vor dem Ältestenrat, vor seiner Mutter Atossa und später sogar vor dem Geist seines Vaters Dareios rechtfertigt. Auch der König ist also Mensch, Teil einer Familie. In Xerxes' Umfeld entdeckt Aischylos komplexe Ursachen für den Krieg: So war der Vater Dareios ein erfolgreicher Feldherr. „Mit dem Speer reich gemacht hat er die Seinen. Du aber spielst nur den Krieger daheim, lebst vom Ersparten, vermehrst nichts.“ Der Sohn wird so lange verspottet, bis er den Beratern nachgibt und in den Krieg zieht. Im Nachhinein allerdings wird dem Deimon die Schuld an der Niederlage zugeschoben, darauf weist Dareios hin. Er ist längst tot, kehrt jedoch auf Drängen von Atossa und dem Ältestenrat aus dem Totenreich zurück. Stefan Gille erscheint als Geist nach lautem Krachen und hellem Blitzen. Er gibt ihn souverän - groß- und übermächtig. Genau so muss Aischylos die Rolle vorgesehen haben. Regina Leitner stellt ihre hohe Wandelbarkeit als Atossa in besonderer Weise zur Schau: Zu Beginn ist sie als Königsmutter mit Ringen und Ketten schwer beladen. Sie gibt sich überlegen und affektiert. Wenn sie als Mutter des Xerxes gefordert ist, wird sie überzeugend sanft, weich und besorgt. Mit dem ausdrucksstarken Sascha Oliver Bauer ist auch die Rolle des Xerxes optimal besetzt. Der junge Schauspieler bringt die nötige Präsenz als König mit, bleibt jedoch auch als Sohn zu jeder Zeit glaubhaft. Stefan Piskorz schlüpft in die Rolle des Boten, gibt sich abgekämpft und tief beeindruckt von den Kriegserlebnissen. Auch ihm gelingt es, das Publikum mit seinen Schilderungen aufzurütteln. Die schwere Aufgabe, den Figuren aus der fernen Antike aktuell Tiefe zu geben, erfüllen alle Darsteller des Marburger Ensembles hervorragend: Dieser Inszenierung kann man für jede Aufführung nur ein aufmerksames Publikum wünschen - alle Beteiligten haben es verdient.



Marburger Forum

Im Jahre 472 v. Chr. errang Aischylos mit der Triologie „Phineus“, Glaukos Ponieus“ und eben den „Persai“, den „Persern“, im Tragik – Agon den ersten Preis. Würde er diesen noch heute gewinnen?

Geht man danach, was sich auf der Bühne des Marburger Landestheaters am 10. 05. 2008 im wahrsten Sinne des Wortes abgespielt hat, so kann man durchaus mit einem zufriedenen, bejahenden Lächeln antworten.

Sowohl Bühnenbild, als auch Kostüme und vor allem die Leistung der Akteure selbst waren anregend, Aufmerksamkeit heischend, ja sogar bisweilen bannend. Dennoch wirkte das Publikum – Gradmesser sei hier der Beifall – irritiert. Vielleicht, weil die Schauspieler gerade da agierten, wo gewöhnlich das Publikum sich müßig delektiert, nämlich im Zuschauerraum, während dieses selber, auf die vormalige Bühne verbannt, nunmehr unmißverständlich angehalten war, sich über die Absicht dieser Änderung des Gewohnten den Kopf zu zerbrechen, oder weil der moderne Mensch und Theatergänger, obgleich er sich der geistigen Elite zugehörig dünkt, durch überreichen Konsum an Massenmedialem nur noch bedingt in der Lage ist, den weitschweifigen, wortreichen, sprachlich überwältigenden Worten und Bildern der Klassiker zu folgen, welche – und dies sei der einzige Kritikpunkt an der schauspielerischen Leistung – bisweilen sogar die Zungen der Akteure selbst zum Schlagen brachten, so daß manches akustisch unterging.

Konnte sich der Rezipient über Jahrhunderte hinweg auf feste Symbolik verlassen, so gehört es mittlerweile zum guten Ton einer jeden einigermaßen gelungenen Inszenierung, ein neues Set an Zeichen und Hinweisen zu generieren, das den Betrachter aus der Dekadenz bloßen Konsums herausreißen soll und darüber hinaus der Bedeutung des Stückes und seiner Aussage eine neue Richtung weist. Wie unbedacht in Ansicht der Konsequenzen. Ein Großteil der Schauspielzeit ist das Publikum – sofern intellektuell regsam – mit Dechiffrierung des so elegant und eigentlich so wohlgefällig und sinnreich Verschlüsselten beschäftigt – und abgelenkt. Warum also tragen die Chor-Figur, Atossa, die Königsmutter, Xerxes, Darios, ja selbst der ob der Niederlage des persischen Heeres aufgelöste Bote Weiß? Weil die Farbe ihre Schreckensbleiche symbolisieren soll? Oder etwa nur, weil es einfach die kostengünstigste Variante effektiver Ausstattung für den Gewandmeister darstellt? Oder weil – wortspielend eben – ihr Handeln das von Wissenden ist, die endlich begriffen haben, daß sie vor einem Abgrund stehen? Daher also ist die Bühne dunkel? In ihrem Zentrum eine blaue rechteckige Fläche, das Meer, die Ägäis, in dem die persische Flotte unterging. Zugleich ein Wasserbecken im heimischen Palast von Susa, abgeschieden, nur von schmalen Orientteppichen bedeckten Stegen zu erreichen. Zeigt sich so also das Versagen einer Politik, die, im Kabinett geplant, vor der Realität scheitert, oder einfach nur der wohlgefällige Kontrast hell – dunkel, schlicht – verspielt oder handelt es sich etwa ein weiteres Mal um ein „billiges“ Staffagemoment, das nicht den Pfifferling wert ist auch nur eine Sekunde länger mit Interpretation versehen zu werden?

Tatsache bleibt aber auch, dem Zuschauer wird eine Denk- und Empfindungsweise diktiert. Denn was weiß das Gros der Rezipienten heute noch von den antiken Klassikern? Wer hat jemals eine Aufführung gesehen mit Chor und Maskenträgern in klassischen Kostümen, eben so, wie sie einst vom Dichter selbst ersonnen war? Wer ist heute noch in der Lage zu erkennen, was vom Originaltextkorpus weggelassen, hinzugefügt, schließlich gar umgestellt wurde? Eine beunruhigende Feststellung, irritierend, wenn sie dem Publikum im Verlauf einer Aufführung heraufdämmert. Warum also ergehen sich zu anfangs zwei Unbekannte in neckischen Wasserspielereien am königlichen Pool, zanken sich schließlich? Erst spät wird klar, hier agieren Dareios und Xerxes, Vater und Sohn – und man erkennt (sofern man sich noch ausreichend dieser Szene zu entsinnen vermag), daß hier wohl das im Folgenden Dargestellte pantomimisch vorweggenommen werden sollte. War dieser Brechtsche Habitus tatsächlich notwendig?

Die Parodos ist längst schon kein Einzugslied mehr. Der Chor reduziert auf eine Person ist zur Hauptfigur geworden, kritisch, hinterfragend, kontinuierlich installiert auf der Bühne, am Pool. Die Königin hingegen kommt und geht, geschmückt oder in Sack und Asche, das Lied „Wer hat die schönsten Schäfchen“ auf den Lippen. Das heißt also, die Mächtigen kommen und gehen, allein die Frage bleibt? Fraglos überzeugen Christine Reinhard als Chor und Regine Leitner als Königsmutter Atossa. Diese Schauspielerinnen haben Substanz. Ohne jemals im Publikum irgendwelche Zweifel aufkommen zu lassen, erfüllen sie die archaische Statik der Szenenfolge mit greifbarem Zweifel und fühlbarer Sorge, mit Kritik und Frage, fügen sich und gehorchen doch nicht diesem Diktat klassisch – unklassischer Strenge, das aber noch mehr von ihren männlichen Pendants durchbrochen wird. Hinweis darauf also, daß Frauen doch die Standfesteren sind? In diese Spannung der Inszenierung hinein trug der Bote (Stefan Piskorz) seinen lebendig – verzweifelten Bericht über die vernichtende Niederlage, drohte Dareios – aus dem Jenseits herabgiftender Übervater Stefan Gille, die Hybris seines Sohnes unnachgiebig verurteilend, die Sascha Oliver Bauer als gescheiterter Xerxes zwar beklagte, als Schauspieler jedoch nonchalant zu handhaben wußte.

Bei all der Symbolträchtigkeit stellt sich schließlich die Frage, warum ausgerechnet diese Tragödie ihren Platz auf dem Spielplan des Marburger Landestheaters gefunden hat. Man stelle sich vor: Ein Grieche, seine Heimat nur knappest der Invasion entronnen, bringt dieses Thema – das Scheitern einer Großmacht und die Frage nach dem warum – auf die Bühne. Der Sieger schreibt also über den Besiegten, weiß ganz genau dessen Herz und Beweggründe auszuloten und ihm die Ursache für sein erbärmliches Versagen auf den Kopf zuzusagen. Das ist nicht nur frech, das ist Anmaßung, Chauvinismus. Und doch: Sofort erkennen wir die Parallelen, sie zwingen sich regelrecht auf. Oder ist nicht etwa auch die Supermacht USA aufgebrochen, ein kleines Land zur Raison zu bringen? Und hat sich mittlerweile nicht doch das Versagen ihrer vermeintlichen „Über – Macht“ herausgestellt? Oder sollte die Tragödie um Xerxes noch ganz anders zu verstehen sein? Als poetischer Hinweis an den Orient: „Laßt die Finger von Europa. Andernfalls droht Euch der Untergang.“

Über diese Deutungsmöglichkeiten zu entscheiden sei jedem selbst überlassen. In die Welt der Andeutung, Anspielungen und Symbole, vor allem hervorragenden Schauspiels einzutauchen, sei aber allemal empfohlen.

Tanja v. Werner



Marburg News

Die Perser

Sehenswerte Premiere im Hessischen Landestheater
11.05.2008 - ute

Eine verlorene Schlacht, einen gefallenen König und ein untergehendes Reich behandelt die Tragödie "Die Perser“ vom griechischen Dramatiker Aischylos. Bei der Premiere im Hessischen Landestheater am Samstag (10. Mai ) erlebten die Zuschauer die Niederlage des persischen Königs Xerxes gegen die Griechen in der Seeschlacht von Salamis. Sie erlebten die Vorgänge aus Sicht der Königsmutter Atossa (Regina Leitner), die nach Fassung ringend dem Bericht des Boten (Stefan Piskorz) lauschte. Danach beschwor Atossa ihren verstorbenen Gatten Dareios (Stefan Gille) aus dem Totenreich. Zum Schluss schloss sie den heimkehrenden, verwirrten Xerxes (Sascha Oliver Bauer) in die Arme. Das Vorspiel des antiken Dramas begann allerdings ganz anders. Zwei Männer im Anzug trafen sich auf der Bühne, begrüßten sich wortlos, aber mit Lachen. Bald nachdem sie sich wiedererkannt hatten, fingen sie an, sich aneinander zu messen. Sie lachten dabei immer noch, bis sie sich zum Schluss die Revolver auf die Brust setzten. Obwohl das Drama mit diesem Vorspiel etwas schwerfällig begann, entstanden aus den handlungsarmen Dialogen und Monologen lebendige Bilder. Das ist nicht zuletzt der kraftvollen Übersetzung der Tragödie durch den deutschen Schriftsteller Durs Grünbein zu verdanken. Xerxes stand am Vorabend der Schlacht vor den Augen der Zuschauer. Am nächsten Tag tobte der Kampf, dann kam die Niederlage. Die Dialoge spielten sich in der Inszenierung von Manfred Gorr in einem sehr originellen Bühnenbild ab. Die Schauspieler bewegten sich in der Umrandung eines vier mal vier Meter großen Bildschirms , was eine Wasserfläche vortäuschte. Dabei dialogisierte mal der Chor (Christine Reinhardt) mit Atossa, die furios und bravourös von Leitner gespielt wurde, wie auch mit anderen Akteuren. Oder die Bühnenwand knallte auf einmal herunter und ließ den erschrockenen Zuschauer im gleißenden Scheinwerferlicht erstarren, als Atossas Gatte aus dem Totenreich auf der Empore der Bühne erschien. Die Tragödie, die in der Bearbeitung von Grünbein im Jahr 2000 an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch“ in Berlin uraufgeführt worden war, wirkte in ihrer Verarbeitung der persisch-griechischen Geschichte historisch, in ihrem Nachzeichnen des Verlaufs und des Verarbeitens einer politischen Niederlage jedoch zeitlos. "Die Perser" ist das älteste überlieferte Drama der Menschheit. Es wurde so gelungen vom Hessischen Landestheater in Szene gesetzt, dass sich ein Besuch in jedem Fall lohnt. Ute Schneidewindt - 11.05.2008



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